Wie die Dezentralisierung der Finanzwelt (DeFi) die Energiewende vorantreiben kann

Christian Sadrinna
9 min readAug 15, 2022

--

Photo by Photo Boards on Unsplash

Einführung

In der Geschichte der Welt wird die Erzählung des Klimawandels im 21. Jahrhundert eine zentrale Rolle einnehmen. Es gibt viele verschiedene Maßnahmen und Ansätze, Kommunikationen und Eskalationen. Der Umbau der Gesellschaft — wie im Bereich der Energieversorgung — wird beispiellos sein. Es stellt sich die Frage, wie so ein gigantischer Umbau bewerkstelligt werden kann. Neben der reinen Ausführung in der realen Welt (z.B. mehr Photovoltaik, Batteriespeicher etc.) durch Handwerkspersonal, braucht es vor Allem die richtigen Anreizstrukturen und Möglichkeiten der Finanzierung und Inklusion. Mein Petitum: Die Dezentralisierung des Finanzbereiches (DeFi) ist das fehlende Puzzlestück, um auf breiter gesellschaftlicher Basis das Konjunkturprogramm zu etablieren, das es für den Umbau wirklich braucht. Hierbei geht es nicht nur um eine Skalierungsfähigkeit auf globaler Ebene, sondern um vollkommen neue Wege und Möglichkeiten, gesellschaftliche Interaktionen in einem neuen nachhaltigen Rahmen zu fördern.

Die COVID-19-Pandemie hat jeden Aspekt unseres täglichen Lebens durcheinander gebracht und mehrere Mängel in den derzeitigen globalen Wirtschafts- und Sozialsystemen aufgedeckt. Sie hat den wachsenden Bedarf an Lösungen deutlich gemacht, die einen positiven Wandel bewirken können. Im Rahmen der 17 Ziele, die die UN entworfen und viele ihrer Mitgliedsstaaten ratifiziert haben, scheint die Pandemie noch einmal mehr die Notwendigkeit eines entschlossenen Handels auf globaler Ebene verstärkt zu haben. Soziale Ungerechtigkeit oder Klimawandel lassen sich schwer in nationalen Alleingängen bewältigen. Natürlicherweise sind diese 17 Ziele nicht nur ein hehrer Wunsch, sondern sie sind konkret mit einem massiven Umbau der Gesellschaft und all ihren entsprechenden Systemen verbunden. Die Energiewende ist ein großer Bestandteil hiervon — und diese Energiewende ist auch untrennbar mit dem Thema ESG vereint. ESG (zu Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung aus dem Englischen von “Environmental”, “Social” und “Governance”) wird als weiter Begriff für CSR (Corporate Social Responsibility) verwendet und ist heute ein elementarer Bestandteil im Unternehmenskontext — insbesondere bei der Frage nach Finanzierungen am Kapitalmarkt. Im Kontext des Umbaus der Gesellschaft spielen Unternehmen natürlich eine entscheidende Rolle. Dementsprechend ist eine Kernfrage wie globale Geldströme in die richtigen Bahnen gelenkt werden können — ESG hilft hierbei und gibt einen einheitlichen und vergleichbaren Rahmen vor.

Die Pandemie hat das Bewusstsein für ESG-Investitionen geschärft und auch Kleinanleger wollen und sollen einen Anreiz haben, sich am Umbau der Gesellschaft zu beteiligen. Die Möglichkeit der Teilhabe ist ebenfalls elementarer Bestandteil der 17 Ziele und schafft weltweit eine gemeinsame Basis für ein übergeordnetes Ziel. Angesichts der schnell wachsenden Nachfrage nach ESG-Produkten bemühen sich daher Unternehmen, um die Einhaltung der Vorschriften, um auf dessen Basis finanziellen Bedarf zu stillen und Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Aus Sicht der Anleger gibt es zwar bereits viele ESG Produkte (z.B. ETFs), allerdings basieren grundlegende Zahlen (z.B. “wie ESG-konform ein Unternehmen ist”) oftmals auf Schätzungen und schwachem Datenmaterial. Das liegt oftmals nicht an den Unternehmen, sondern an der vorherrschenden analogen Weise unseres Wirtschaftsgeschehens. Damit das Zahlenmaterial trotzdem für das ESG Rahmenwerk verwendet werden kann, bedienen sich Unternehmen der Verifizierung durch Drittanbieter und Auditoren. Viele Anleger sind daher gezwungen einen großen Vertrauensbonus in das ESG System — und damit schlussendlich auch in die klassische Finanzindustrie — zu investieren.

Das Thema ESG vereint drei Kernelemente, wobei zweifelsohne das “E” als ein gewichtiger Teil erscheint. Rückblick: Im Jahr 2021 nahmen 120 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt an der UN-Klimakonferenz in Glasgow (COP26) teil. Die Abschwächung der Auswirkungen der globalen Erwärmung und die Verringerung der Treibhausgasemissionen gehörten zu den wichtigsten Themen, die diskutiert wurden. Knapp ein Jahr später berichtete der Weltklimarat (IPCC), dass die Welt innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte die 1,5-Grad-Marke erreichen würde. Der Bericht unterstreicht, dass nur eine drastische Reduzierung der Kohlenstoffemissionen eine Umweltkatastrophe verhindern könnte.

Die Klimaschützer fragen sich, ob die Blockchain nicht nur eine energieintensive Technologie sei, sondern auch Möglichkeiten bietet, die Klimakrise zu unterstützen und zu bekämpfen.

ESG, Blockchain und die Bekämpfung des Klimawandels durch Maßnahmen wie der Decarbonisierung gehören am Ende des Tages zusammen — und DeFi (Decentralized Finance) könnte hierbei zu einem entscheidenden Katalysator werden. DeFi kann das neue Bindeglied sein um die Probleme im ESG Reporting zu addressieren und das allgemeine Vertrauensthema durch vertrauenslose Methoden (wie in der Blockchain) zu mitigieren. Bevor wir allerdings zu dieser möglichen Lösung kommen, sollten wir jedoch noch ein weiteres Detail etwas genauer verstehen. Allgemein gilt die Kohlenstoffreduktion (Decarbonisierung) als Eckpfeiler in der globalen ESG Strategie. Hierzu wurde bereits im Jahr 1997 im Rahmen der Klimarahmenkonvention der UN das Kyoto-Protokoll ausgearbeitet. Wichtiger Bestandteil: Reduzierung der weltweiten Kohlenstoffemissionen. In der Folge entstand ein globaler Kohlenstoffmarkt, der heute allgemein als Voluntary Carbon Market (VCM) bekannt ist. Er ermöglichte es, Emissionsgutschriften außerhalb der formalen nationalen oder internationalen Vorschriften über außerbörsliche Börsen zu kaufen. Trotz des Ziels des VCM, Marktmechanismen zu nutzen, sind die Anreize für Unternehmen, Regierungen und Einzelpersonen, sich daran zu beteiligen, nicht mit den wirtschaftlichen Realitäten in Einklang gebracht worden. Das liegt zum großen Teil an einem eindeutigen Marktversagen, das mit teuren und undurchsichtigen administrativen Anforderungen verbunden ist. Der heutige Markt für Emissionsgutschriften gilt allgemein als fragmentiert und komplex. Es gibt fragwürdige Praktiken beim Verkauf von Emissionsgutschriften und begrenzte Daten zur Preisgestaltung, die es für Käufer schwierig machen, zu wissen, ob sie einen fairen Preis zahlen, und für Anbieter, das Risiko, das sie eingehen, zu steuern.

Zwischenfazit

  • Es gibt ein weltweites Bewusstsein für den Klimawandel und für einen benötigten Umbau der Gesellschaft (z.B. Energiewende).
  • Trotz verschiedener globaler Bemühungen und Konferenzen für mehr Klimaschutz, scheinen nationale und ökonomische Interessen bisher größere Anreize gewesen zu sein.
  • Die Teilhabe am Umbau der Gesellschaft muss für alle Bürger und Institutionen der Gesellschaft zugänglich sein, um nachhaltig eine Akzeptanz zu schaffen.
  • Es gibt mit ESG einen globalen Ordnungs- und Steuerungsrahmen, damit Gelder für Investitionen in Umbau-konforme Projekte fließen können.
  • Bestehende (zusätzliche) Anreizsysteme wie der CO2 Handel gelten als systemisch anfällig, da die Datengrundlagen als auch die Marktmechanismen intransparent und veraltet sind.

Was wäre wenn …

es eine digitale, globale Architektur geben würden, die

  • das allgemeine Vertrauens- und Datenproblem lösen könnte und
  • neue Finanzierungsmöglichkeiten für den Umbau freisetzen könnte und
  • im vollen Einklang mit vielen der 17 Ziele stehen würde?

Von großen Investoren zur Jedermann Beteiligung: Bei der Finanzierung von großen Infrastrukturprojekten — wie wir sie in den kommenden Jahren für die Energiewende sehen werden — kommen traditionell Fremd- und Eigenkapital zum Einsatz. Unternehmen oder wahlweise Joint Ventures akkumulieren Investitionen und bilden die allgemeine Vertragsklammer für jene Projekte. Das Eigenkapital wird von institutionellen Fonds zur Verfügung gestellt, während das Fremdkapital durch Großbanken gesichert wird. Der beschriebene ESG Rahmen würde zumindest jene guten Maßnahmen bevorzugen. In der Praxis haben große Institutionen hier jedoch erhebliche finanzielle Vorteile aus diesen Vorhaben — im Vergleich zum kleinen Anleger.

Das Problem wird durch staatliche Infrastrukturprogramme und dem sogenannten Cantillion-Effekt verstärkt, bei dem gewisse Marktteilnehmer natürlicherweise bevorzugt werden. Neues Geld wird demnach nicht automatisch gleichmäßig auf alle Bereiche einer Volkswirtschaft verteilt, sondern in Stufen, wobei manche Bereiche (insbesondere der Banksektor, andere staatsnahe Firmen, der Unternehmersektor und politisch begünstigte Gruppen) zuerst profitieren, während der Rest der Volkswirtschaft später folgt oder gar nicht von der Geldschöpfung profitiert. Beispiel USA: Vorgesehen sind über die nächsten Jahre rund 550 Milliarden US-Dollar (476 Milliarden Euro) an neuen Investitionen in die Infrastruktur.

Diese Martkverzerrung könnte zu einem echten gesellschaftlichem Problem werden. Die schiere Größe des Umbaus benötigt eine breite allgemeine Zustimmung und eine Möglichkeit der Teilhabe. Daher eine Alternative zu den klassischen Wegen: Dezentrale Finanzierung (DeFi) der Blockchain-Technologie. DeFi verändert das Paradigma der traditionellen Finanzmodelle. DeFi ist ein nahtloser Fluss von Finanztransaktionen und Nutzer können zwischeneinander (Peer-to-Peer) interagieren, so dass auch kleinere Investoren für diese Projekte ihre Gelder zur Verfügung stellen können. DeFi gestaltet das Finanzwesen für Millionen von Menschen neu. Mithilfe von Smart-Contracts und Automated Market Makers (AMMs) hat DeFi neue Wege für den Handel mit Vermögenswerten geschaffen. Die Web3-Technologie ermöglicht es, die Organisationsstrukturen umzugestalten und neue Möglichkeiten zu schaffen. P2P-Kreditvergabe und Tokenisierung sind Aspekte, die durch DeFi maximiert werden können, um die benötigen Anreize für die Klimaziele zu setzen.

CO2 Reduktion mit DeFi

Starten wir mit der Decarbonisierung und erinnern uns an die funktionsarmen VCM Mechanismen. Die Blockchain kann dem Markt für Emissionsgutschriften die erforderliche Disintermediation und Transparenz verleihen. Der Übergang vom traditionellen Markt zur Blockchain wird durch die Überbrückung von verifizierten und robusten Emissionsgutschriften erreicht. Dieser Prozess integriert Kohlenstoffgutschriften in die Blockchain und eröffnet ihnen neue Möglichkeiten für den Handel. Hier können sie leichter verfolgt oder getauscht werden.

Beispiel C3 Carbon Bridge

Ein konkretes Beispiel ist die C3 Carbon Bridge, die im März 2022 eingeführt wurde. Diese Web3 App nutzt zum Beispiel die von Curve.finance entwickelten Mechanismen, um Emissionsgutschriften auf den Markt zu bringen und eine Reihe neuer Anreize setzen kann. Durch die Einbettung von Kohlenstoffgutschriften in Blockchain-basierte Token erben die Kohlenstoffgutschriften die Funktionalität anderer dezentraler Finanz-Tokens (DeFi). Dies ermöglicht die Schaffung neuartiger Finanzprodukte, die mit anderen in diesem Bereich entwickelten Innovationen interagieren können.

Beispiel Tokenomics von OlympusDAO

Die Macht von DeFi ergibt sich allerdings, wenn Nutzer auf einmal unterschiedliche Möglichkeiten haben, ihre Assets — wie CO2 Tokens — zu nutzen. Beispielsweise bieten die von OlympusDAO entwickelten Bonding- und Staking-Systeme Möglichkeiten, die Architektur auf On-Chain-Kohlenstoffmärkte zu übertragen. So können Nutzer von tokenisierten Kohlenstoffgutschriften Belohnungen für das Sperren und dauerhafte Entfernen ihres Kohlenstoffs aus dem Markt erhalten. Sobald ein Kohlenstoffguthaben in die Blockchain eingebunden ist, kann es von den Teilnehmern getauscht oder verbrannt und vollständig aus dem Markt entfernt werden, ohne dass das Risiko einer Doppelzählung besteht. Die Marktoperationen sind genehmigungsfrei und die Daten sind nachvollziehbar, was den Markt für eine stärkere Beteiligung und Kontrolle öffnet.

Beispiel Automatisierte Market Maker (AMMs)

Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Schaffung von hochliquiden Pools, die den transparenten und effizienten Austausch von Vermögenswerten auf etablierten dezentralen Börsen wie Uniswap und SushiSwap ermöglichen. Damit wird ein zentrales Hindernis für den VCM überwunden, das mit dem außerbörslichen Handel und illiquiden Märkten verbunden ist. Theoretisch kann man den VCM auf eine Blockchain verlagern und die Metadaten für jedes Guthaben, die seine Qualität und Herkunft belegen, können öffentlich zugänglich sein. Unternehmen können Zugang zu diesem transparenten und liquiden Kompensationsmarkt erhalten, wie es ihn heute noch nicht gibt. DeFi- und DAO-Gemeinschaften (Dezentrale Automone Organisationen) sind ortsunabhängig, sie bilden ein Netzwerk aus einzelnen Mitwirkenden, die auf gemeinsame Ziele hinarbeiten. Durch die Dezentralisierung dringen sie bis in die entlegensten Gebiete vor.

Beispiel Toucan

Als letztes Beispiel noch das Toucan Protocol, welches im Oktober 2021 ins Leben gerufen. Es zielt darauf ab, die Infrastruktur für Umweltgüter im Web3 zu verbessern und die Kohlenstoffmärkte auf die DeFi-Marktplätze zu bringen. Die sogenannte KlimaDAO war die erste Plattform, die auf Toucans Web3-Kohlenstoffmarkttechnologie aufbaute. Sie arbeitet daran, die wirtschaftlichen Anreize auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt (VCM) neu zu gestalten. So gibt Toucan beispielsweise Gutschriften in Form von nicht fungiblen Token (NFT) aus. Dieser NFT enthält Daten zu dem spezifischen Ausgleichsprojekt, das er repräsentiert, und kann in Tokenised CO2 (TCO2) Token zerlegt werden. Diese können dann wie jede andere Kryptowährung an einer dezentralen Börse (DEX) gehandelt werden. Die ganze Macht von DeFi zeigt sich allerdings bei der Tatsache, dass außer der reine Handel noch folgende Möglichkeiten mit den Tokens bestehen:

  • CO2 als Sicherheit: Fügt tokenisierte Kohlenstoffgutschriften als diversifizierte Sicherheiten in der dezentralen Finanzierung hinzu.
  • Zinsen auf CO2: Zugang zu neuen Möglichkeiten, Emissionsgutschriften in produktive, renditeträchtige Anlagen zu verwandeln.
  • CO2 als digitale Anlage: Diversifizierung eines Portfolios mit echten Emissionsgutschriften, die in Form von Tokens vorliegen.

Fazit

Während ESG-Investitionen immer beliebter werden, weil sie einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft und die Umwelt haben, gewinnt der DeFi-Bereich zunehmend an Bedeutung, weil er die Notwendigkeit von Vermittlern bei Finanztransaktionen eliminiert. Dank vertrauenswürdiger Smart Contracts stellen DeFi-Protokolle den direkten Kontakt zwischen den Transaktionsteilnehmern her und senken die exorbitanten Gebühren, die von traditionellen Finanzdienstleistern erhoben werden, drastisch. Die Mechanismen und Methoden aus DeFi waren zunächst eng an den klassischen Finanzmarkt gebunden, allerdings lassen sie sich auch auf spezielle Bereiche (siehe VCMs) ausweiten. Dadurch ergeben sich für Unternehmen die im ESG Kontext wirtschaften müssen, neue Möglichkeiten. Auf der anderen Seite ergeben sich aber auch auf der Finanzierungsseite neue Möglichkeiten, indem sowohl große als auch kleinere Investoren den Zugang zu ESG-konformen Projekten bekommen. Die Tokenisierung erlaubt das gesellschaftliche Aufbrechen von großen Strukturen und kann im Zuge eines großen Umbruchs der gegenwärtigen Systeme die notwendige Akzeptanz und Schubkraft erzeugen. Dezentrale Finanzierungsmodelle wie das Crowdfunding können eine wichtige Rolle bei der Energiewende, der Zugänglichkeit von Energie und dem globalen Kampf gegen den Klimawandel spielen.

--

--