Eine Gesellschaft auf Basis zentraler Datenbanken

Christian Sadrinna
6 min readOct 20, 2021

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Photo by Jan Antonin Kolar on Unsplash

Lesen und verstehen, wie …

  1. Zentralisierung störanfällig und gefährlich sein kann
  2. Alle Bereich des Lebens heutzutage in Datenbanken erfasst werden
  3. eine Welt von morgen mit dezentraler Datenhaltung funktionieren kann

Ausgangslage

Das Leben von heute ist in meisten Teilen digital bzw. wird es zunehmender. Hierbei haben sich im Laufe der Jahrzehnte viele zentrale Punkte herausgebildet die heutzutage neuralgisch wirken.

Kernaussage (dieses Textes)

Die weitere Digitalisierung unserer Gesellschaft auf Basis zentraler neuralgischer Datenbanken birgt ein großes Ausfall- und Ausnutzungsrisiko. Vertrauenswürdigkeit und finanzielle Anreize haben hierbei oftmals eine gegenläufige Wirkung — gesellschaftliche gesehen. Eine dezentrale Alternative zu großen technischen und zentralisierten Datenbanken von Konzernen könnte im Bereich von Blockchain und NFTs liegen.

Facebook & Co.

Im Herbst 2021 ereignete sich ein Blackout der viele Mitmenschen in Angst und Bange versetzte — kein Stromausfall, aber für viele Menschen ebenso erschreckend. Insgesamt fast 7 Stunden waren weltweit die Dienste von Facebook, Instagram und WhatsApp nicht erreichbar. Eine Katastrophe biblischen Ausmaßes. Dieser Vorfall war bezeichnend für eine Anfälligkeit eines ganzes Systems — weit über Facebook & Co. hinaus. Hintergrund des Ausfalls war eine geänderte Konfiguration in einer zentralen Tabelle (Datei) die für den Datenverkehr zwischen den Kunden und den Facebook Servern verantwortlich ist. Eine zentrale Tabelle wie sie heute “Standard” ist. Die moderne Gesellschaft läuft auf Datenbanken, die von TTPs (Trusted Third Parties = vertrauenswürdigen Drittparteien) betrieben werden. Wir finden sie in allen Lebensbereichen — und auch Facebook, Instagram & WhatsApp gehören natürlich dazu.

  • Sparkassen
  • Google
  • Stadtverwaltung
  • Hotels
  • Amazon
  • Rentenkasse
  • Finanzamt

Damit die moderne Gesellschaft in ihrem heutigen Umfang funktionieren kann und damit DU in ihr funktionieren kannst — um zu reisen, Geld zu verdienen, zu wählen, ein Taxi zu bekommen, zu essen, nicht ins Gefängnis zu kommen — sind Tausende von Datenbanken nötig, um dich zu verfolgen. Das ist nicht böse, sondern eine Funktion. Das ist fast der einzige Weg, wie wir es effizient machen können.

In diesem Zusammenhang ist die Partei (TTP) diejenige, die in der Praxis allerdings auch über deine Rechte entscheidet. Angefangen bei der einfachen Stornierung deiner Hotelbuchung über die Frage, ob du an einem Tag mehr als 10.000 EUR überweisen kannst oder ob du bei den Bundestagswahl deine Stimme abgeben darfst. Wir nehmen das als selbstverständlich hin, weil es in unserem Leben in den Hintergrund getreten ist.

Nun magst du dich fragen — OK, und? Du konntest vielleicht sogar gut 7 Stunden auf WhatsApp verzichten. Es gibt aber ein kleines und ein größeres Problem mit modernen TTPs die dich vielleicht interessieren sollten.

Probleme mit den TTPs

Das erste und kleinere Problem ist, dass sie tendenziell wettbewerbsfeindlich sind und damit Innovation und besseren Kundennutzen unterbinden. Warum? Computer führen zu Skaleneffekten bei Daten und Infrastruktur, so dass Unternehmen dazu neigen, zu wachsen. Hört sich doch gut an, oder? Während sie wachsen, bauen sie eine riesige installierte Basis von Daten und Dateninfrastruktur auf, die das wichtigste Wettbewerbshindernis für den Eintritt in jedes moderne Unternehmen darstellt. Kartellbehörden und viele Bürger verstehen, dass Unternehmen wie Facebook, Amazon, Goolge & Co. problematisch sind — können es aber schwer greifen oder regulieren. Der Wettbewerb ist jedoch massiv beeinträchtigt, wenn diese Unternehmen wie ein schwarzes Loch alle Daten aufsaugen — aus Alternativlosigkeit der Nutzer — und das gleiche Unternehmen mit diesen Daten Endprodukte anbietet. Nun würde keiner sagen, dass Google & Co. nicht innovativ sind und keine guten Produkte anbieten — ganz im Gegenteil. Wie passt das dann zusammen? Es erscheint paradox, aber vielleicht lässt sich diese Frage — und das Problem — durch ein anderen Blickwinkel verdeutlichen.

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Fiktives Beispiel: In einer Stadt gibt es nur eine Markthalle in der alle Bürger ihre Lebensmittel beziehen (können) — jeder Versuch eine alternative Markthalle zu eröffnen, scheitert primär an der Akzeptanz der Bürger, die den Komfort maßgeschneiderter Angebote in der Markthalle schätzen — basierend auf ihren individuellen Ess- und Kaufgewohnheiten. Durch das Volumen der Markthalle ist diese zudem extrem preisgünstig. Zusammengefasst: Gut, günstig und individuell.

Damit ist die Markthalle der Markt und Anbieter aller Lebensmittel. Analog:Damit IST Google der Markt.

Wettbewerb ausgeschlossen — Markteintritt unmöglich.

  • Google (Alphabet als Konzern) ist der Markt (für Daten und Wissen)
  • Facebook (WhatsApp & Instagram) ist der Markt (für Online Kontakte)
  • Amazon ist der Markt (für Online Shopping)

Das größere Problem mit diesem Zustand der TTPs und der zunehmenden Zentralisierung, besteht darin, dass sie immer mehr einfache Würgegriffe schaffen. Ein weiteres Beispiel: Stell dir Taxis vor 10 Jahren vor. Eine völlig dezentralisierte Branche, die praktisch nichts über ihre Kunden wusste. Ein anonymer Anruf in einer Taxizentrale schickte einen beliebigen Fahrer zu einem Ort. Das Unternehmen Uber war eine Revolution. Der gesamte Prozess und alle Daten in einer App — praktisch für beide Seiten, aber eben auch zentralisiert. Dystopie: Ein zukünftiger Diktator könnte bestimmten Kunden mit Hilfe von so ein Konstrukt von Fahrten mit einem Taxi fernhalten. Gibt es nicht? Kurzer Rückblick in die dunkelste Vergangenheit der deutschen Geschichte. In den Niederlanden gab es zwischen 1940–1945 die meisten jüdischen Opfer in Gesamteuropa. Der Grund: Ein hochmodernes (zentrales) Bürgerregister — eingerichtet mit den besten Interessen. Diese zentralen Informationen — indem auch die Religionszugehörigkeit gespeichert wurde — sind in den falschen Händen zu einer tödlichen Bedrohung geworden.

Diejenigen, die ihre grundlegende Freiheit aufgeben würden, um sich ein wenig vorübergehende Sicherheit zu erkaufen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.

Vom Problem zur Lösung

Kurzer Schnitt — die Kryptobranche hat viele innovative Produkte und Themen hervorgebracht die noch nicht massentauglich in den Medien auftauchen. Neben Bitcoin gibt es aber immer mal wieder Berichte über sogenannte NFTs (non-fungible Tokens = Nicht pfändbare Verbriefungen) die ihren Weg in die Medien gefunden haben, weil Personen enorme Summen Geld für NFT Kunst ausgeben. Was hat das mit Datenbanken, Google oder Dikatoren zu tun? Erstmal nichts.

Erstmal. Die digitalen Kunstwerke (wie das Bild eines gelangweilten Affen für 134,000$) sind dezentralisiert und damit verfassungsrechtlich geschützte freie Meinungsäußerung. Kunst — ganz allgemein — ist allerdings auch nur eine Teilmenge immateriellen Güter in einer Gesellschaft.

Mit Immaterialgut wird in der Rechtswissenschaft ein unkörperlicher Gegenstand im Sinne eines nicht greifbaren, geistigen Guts bezeichnet, beispielsweise ein Kunstwerk oder eine technische Erfindung.

Im Fortschritt der Kryptobranche werden diese NFTs aber irgendwann die Kunst verdrängen und anfangen ganze Marken zu fressen. Kultur zu fressen. Sie werden anfangen, dezentrale Alternativen zu zentralisierten Organisationen zu schaffen. NFTs werden von Unternehmen und dezentralen Organisationen genutzt, um ihre Gemeinschaften zu organisieren. Anders als die zentralisierten Datenbanken von heute sind diese eben öffentlich, sie sind zusammensetzbar, sie sind unzensierbar. Damit können sie ganz konkret die heutigen Probleme von TTPs angehen — ohne zentrale Kartellbehörde. Was könnte eine Gesellschaft auf diese Weise an immateriellen Gütern auf Basis dieser Technologie bringen? Alles:

  • Kinokarten
  • Ferienvermietungen
  • Hotelreservierungen

Alles was für eine Gesellschaft einen Wert hat. Alles was einen Preis für diesen Wert benötigt. Aus heutiger Sicht mag das nach Science Fiction klingen und nicht jedem klar sein, warum Kinokarten als NFT (auf einer Blockchain) ausgegeben werden sollten. Es scheint im entferntesten vielleicht klar zu sein, welche möglichen Folgen man dadurch verhindern könnte. Es gibt aber auch viele grundsätzliche Tendenzen die diesen Schritt einleiten und sogar unabdingbar machen werden.

Fazit

Eine digitale Welt braucht eine verlässliche digitale Infrastruktur auf der die Werte die diese Gesellschaft ausmacht (Analog und Digital) gespeichert, übermittelt und gehandelt werden können. Das Grundproblem ist eine digitale Welt auf zentraler Basis von TTPs. Es ist eine verheißungsvolle Zukunft in der sich die Gesellschaft vom Joch zentraler Systeme lösen kann und eine freiheitliche Digitalisierung erschaffen kann — NFT Kunst zeigt eine Methode, um im digitalen Umfeld echtes Vertrauen mit solide Infrastruktur zu erzeugen. Es sollte das Recht der Gesellschaft sein zu einem Stadium zu gelangen, indem TTP zwar existieren, aber keine vulnerablen Punkte mehr darstellen. Die Downtime von Facebook & Co. lassen erahnen, was eine Downtime von wirklich vulnerablen Knotenpunkten für die Gesellschaft bedeuten könnte. Dezentralisierung ist hier das Stichwort. Der Trend ist unverkennbar, aber keinesfalls bereits ein definiertes Endziel — es ist der Kampf der Gesellschaft für eine freiheitlich, demokratische und resistente Zukunft, der gerade erst begonnen hat.

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